Jesus Christus Befreier – damals und jetzt
10. internationale Sabeel Konferenz
Magdala, am See Genezareth
12. März 2017
Predigt von Pfarrer Dr. Assis Naim Ateek
Bevor ich beginne, möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf den Ort lenken, wo wir uns befinden. Wir sind hier im eigentlichen
Bereich, an dem Jesus die meisten Dienste ausführte. Ich habe auf schönes Wetter gehofft, so dass wir diese schöne Gegend
genießen können.
Wir können sicher sein, dass dies wahrscheinlich einer der wenigen Orte ist, an dem Jesus seine Zeit verbrachte. Warum wissen
wir dieses? Weil ich nicht glaube, dass jemand diesen See versetzte. (In den Evangelien wurde er „Meer“ genannt.) Es ist
schwierig, die Authentizität vieler Stellen an denen Jesus gewesen sein soll, zu identifizieren. Wir können uns aber dieses Sees
und des Jordans sicher sein.
Am Ende unserer Konferenz möchte ich mit Ihnen über unser Hauptthema „Jesus Christus Befreier - damals und jetzt“
nachdenken. Mein Augenmerk liegt auf dem Kairos, auf dem Augenblick als Jesus Christus einen neuen theologischen
Durchbruch vorstellte, den niemand zuvor geschafft hatte.
Ich nehme an, dass viele vermuten, dass ich über den Tod und die Auferstehung Jesu Christi rede. Zugegeben, wir betrachten die
damals vollendete Tat der Liebe. Aber das ist nicht jetzt mein Hauptaugenmerk. Ich möchte unser Augenmerk auf einen anderen
Kairos Zeitpunkt richten, der während Jesu Leben geschah. Ich möchte mich auf einen entscheidenden Moment im Wirken Jesu
konzentrieren, die zu einem neuen und frischen Verständnis von Gott und der menschliche Beziehungen führte. Es war wirklich
eine theologische Revolution.
Während dieser Konferenz haben wir über den Staat im Nahen Osten im Licht des verbreiteten religiösen Extremismus und
seinen Drohungen und Herausforderungen nachgedacht. Ich möchte gerne damit beginnen, womit ich meine Predigt in der
Geburtskirche in Bethlehem beendete. Ich schloss meine Ausführungen damit, in dem ich sagte, das Gegengift gegen religiösen
Extremismus wurde in der Liebe zum Nächsten gefunden. Aber was ist der Hintergrund von diesem und was war daran
einzigartig, was Jesus Christus tat? Mein Ziel ist diesen Augenblick wieder einzufangen, der damals geschah; und durch die
Gnade Gottes es nun zu regenerieren und wachzurütteln.
Ich will es als Geschichte erzählen. Viele von Ihnen kennen diese, aber bitte, ertragen sie mich.
Die Taufe Jesu am Jordan durch Johannes den Täufer muss eine einzigartige und bedeutungsvolle Erfahrung für Jesus Christus
gewesen sein. Er fühlte, dass er von Gott eine besondere Segnung und einen besonderen Auftrag empfing. Es ist ziemlich
wahrscheinlich, dass Jesus nach seiner Taufe eine Zeit mit Johannes dem Täufer verbrachte. Er verbrachte auch mehrere
Wochen in der Wüste in der Gegend um Jericho, um über die Bedeutung des Königreichs Gottes und dessen Beauftragung:
sowohl der Herausforderungen und Schwierigkeiten entlang seines Weges. Sicher suchte Jesus die Führung Gottes in der
Erfüllung seines Willens.
Das Konzept Gottes
Es ist wichtig zu beachten, dass zur Zeit Jesu die Grundlage des theologischen Verständnisses von Gott sich schon gebildet
hatte. Während des babylonischen Exils waren jüdische religiöse Denker in der Lage, ihre grundreligiösen Überzeugungen über
die Einzigkeit Gottes zu formulieren. Vor dem Exil schwankten die Israeliten in ihrer Verehrung zwischen vielen Göttern. Jahwe
war ein bevorzugter Gott für sie, aber nicht der einzige Gott. Irgendwann während des Exils wurde Jahwe als der einzige Gott
bestätigt.
Der Glaube an den einen Gott wurde der Eckstein des Judentums. Er wurde ausgedrückt in den Worten des Schma Israel: "höre,
O Israel: Der Herr ist unser Gott, der Herr allein. Und du sollst den Herrn lieben von ganzen Herzen und mit ganzer Seele und mit
aller deiner Macht." (Deut. 6, 4-5). Zu Recht, diese große Entdeckung machte die Juden stolz; aber sie führte auch zu
Überheblichkeit und Arroganz. Andere Nationen wurden nicht mit den Juden gleich geachtet, sie wurden sogar verachtet.
Wie ähnlich ist es heute zu damals. Was hören wir von der rechtsorientierten israelischen Regierung und den israelischen
jüdischen religiösen Extremisten? Sie sagen: Der Staat Israel ist unser Staat. Es ist der Staat der Juden und der Juden allein.
Jerusalem ist unser Jerusalem und es ist unser Jerusalem allein. Das ganze Land ist unser Land und es ist unseres allein.
Wenn Sie solche Worte stetig und unaufhörlich hören, welche Chance hat dann der Frieden?
Zur Zeit Jesu wurde Gott als ein ethnischer Gott, für eine ethnische Gemeinschaft eingeengt; kunstvolle Gesetze und
Bestimmungen begannen sich sowohl um Gott, um das Volk Gottes, als auch gegen die Außenseiter, die Nichtjuden zu
entwickeln. Als Beispiel: Leviticus Kapitel 19 enthält eine Anzahl solcher Verfügungen:
Du sollst deinen Bruder nicht hassen in deinem Herzen, sondern du sollst deinen Nächsten zurechtweisen, damit du nicht
seinetwegen Schuld auf dich lädst. (17)
„Du sollst dich nicht rächen noch Zorn bewahren gegen die Kinder deines Volks. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich
selbst; ich bin der Herr." (18)
Die Phrase "jeder deiner Verwandtschaft" oder "jeder deiner Leute" wird sehr oft wiederholt, um es klar zu machen, dass diese
Verfügungen nur die Beziehungen innerhalb der Gemeinschaft beherrschen sollen, aber nicht außerhalb. Anscheinend wurde
Jesus selbst in dieser Art der Lehre erzogen, und in einer solch eingeschlossenen Denkweise, an einem Punkt in seinem Leben,
fühlte er dass solche Überzeugungen seinem Verständnis von Gott widersprachen. Für Jesus war diese Situation Fanatismus
und Rassismus.
Nazareth
Nach seiner Taufe beschloss Jesus nach Nazareth zurückzugehen und sein Verständnis über die Natur und den Charakter
Gottes zu erörtern. Am Sabbat ging er in die Synagoge. Er las einen Abschnitt aus Jesaja (61) über Befreiung und Gerechtigkeit.
Aber als die Worte des Propheten rassistisch wurden, gegen Heiden sich wendeten, hielt er mitten im Satz an und weigerte sich
den Zorn und die Vergeltung Gottes auf die Feinde der Juden auszurufen. Er hörte mit der Erwähnung des Gnadenjahres, dem
Jahr an dem Gott Gefallen hat auf. Es ist das Jahr, in dem die Schulden der Armen getilgt; Sklaven befreit und das Land an seine
ursprünglichen Eigentümer zurückgegeben wird.
In der Diskussion über seine Ansichten redete Jesus über eine nichtjüdische phönizische Witwe aus dem Libanon, die sich für
einige Jahre während einer schwerwiegenden Hungersnot um den Propheten Elijah kümmerte und um einen nichtjüdischen
syrischen General, der von der Lepra durch den Propheten Elisha geheilt wurde. Jesu Worte waren klar, nämlich, Gott ist der
Gott aller Menschen und sorgt sich um alle, ohne Rücksicht auf ihre ethnische Herkunft.
Die fundamentalistische und nationalistische Gemeinschaft in Nazareth konnte es nicht ertragen. Sie warfen ihn hinaus. Für sie
war Jesu Auffassung von Gott falsch. Sie glaubten, dass Gott ihr Gott allein ist und dass nur sie die besonderen Menschen Gottes
waren.
Der Leviticus Text, den Nächsten zu lieben wie sich selbst, war für Jesus nahe bei den Außenseitern. Bei den jüdischen Familien
wurde es nur innerhalb der ethnischen Familie angewandt. Jesus hat entschieden ihn zu öffnen.
Jesus verließ Nazareth und ging nach Kapernaum. In Kapernaum begann er, was er über Gott glaubte, zu praktizieren. Er lehrte
alle Leute, die zu ihm kamen. Er heilte die Kranken ohne Rücksicht auf ihren ethnischen Hintergrund. Er heilte sogar Menschen
am Sabbat, was ihm den Zorn und Ärger der religiösen Führer einbrachte. Außerdem war Jesus bereit, die Häuser von
Nichtjuden zu betreten, was religiöse Juden vermieden. Er verbrachte Zeit mit den Samaritern und er lobte den Glauben von
Nichtjuden über den Glauben der Juden. Sein Leben wurde bedroht, doch machte er mutig weiter um allen Gutes zu tun, um zu
lehren und um zu heilen. Jesus drehte den Glauben von oben nach unten. Jesus wurde unter den Menschen sehr beliebt. Wie
auch immer, es sind die religiösen Führer die konservativer sind und die die Bewegung des Geistes Gottes behindern.
Wie ist das größte Gebot?
Der wirklich theologische Kairos Zeitpunkt, der die Revolution zündete, kam als ein Gesetzes Experte Jesus fragte, "was ist das
erste Gebot?" Jesus begann ihm die traditionelle religiöse Antwort zu geben. "Höre O Israel, der Herr unser Gott ist ein Herr und
du sollst den Herrn mit deinem ganzen Herzen, Verstand und Stärke lieben.“ Zu jedermanns Überraschung hielt Jesus dort nicht
an. Jesus machte danach weiter, als er sagte: es gibt noch ein anderes Gebot, das ist nahe bei dem ersten. "Du sollst deinen
Nächsten lieben wie dich selbst.“
Was tat Jesus? Er griff in die religiöse Tradition des Volks ein und zog ein Gebot aus dem Buch Leviticus heraus (19). Es war nur
für die Juden unter ihres gleichen bestimmt. Jesus entzog die exklusive Auswirkung und ließ diese Phrase "einige Ihrer
Verwandtschaft; oder einige Ihrer Leute fallen“ und öffnete sie. Für Jesus gibt es keine Einzigartigkeit. Jeder ist eingeschlossen.
Du sollst deinen Nächsten lieben ohne Rücksicht auf sein/ihr ethnischen oder rassischen Hintergrund als dich selbst. Jesus
entfernte den Stachel des Rassismus.
Später, als Jesus gefragt wurde, "wer ist mein Nächster", erzählte er ihnen die Geschichte vom barmherzigen Samariter. Der
Samariter wurde als ein Feind betrachtet, er aber war der Einzige, der anhielt um der schwer verletzten jüdischen Person zu
helfen.
Weiterhin befreite Jesus die Liebe zum Nächsten nicht nur vom geschlossenen ethnischen Gefängnis; er hob die Verfügung auf
und stellte sie neben das größte Gebot, der Liebe zu Gott.
Jesu Revolution bestand aus zwei wichtigen Punkten:
1. Es war Jesus, der zuerst die exklusiven Grenzen entfernte, die die Liebe zum Nächsten innerhalb einer sehr engstirnigen
ethnischen Gemeinschaft einschloss. Nach dem Entfernen der ausschließenden Einzigartigkeit öffnete er es für alle und gab ihm
einen universalen Zweck und die Auswirkung machte daraus für alle ein inklusives Gebot, das sogar die Feinde miteinschließt.
2. Jesus Christus erhöhte das Gebot den Nächsten zu lieben und stellte es neben das erste große Gebot von der Liebe Gottes.
Es war Jesus Christus, der der Erste war, der die zwei Gebote zusammenzufügte. Dann schloss er: "in diesen zwei Geboten
hängt das ganze Gesetz und die Propheten." (Matt. 22,40)
Dies war damals die prophetische Stimme Jesus Christi, und dies ist die prophetische Stimme die jetzt erforderlich ist - seine
Stimme, unsere Stimme.
Jesus befreite die zwei Texte. Durch die Befreiung der zwei Texte befreite er die Liebe. Durch die Befreiung der Liebe befreite
Jesus sein Verständnis, sowohl von Gott als auch dem Nächsten. Sowohl Gott, als auch der Nächste waren innerhalb einer
kleinen Glaubensgemeinschaft eingeengt worden. Der Rest der Menschheit der Welt wurde außerhalb der Gnade und Liebe
Gottes gelassen. Aber Gott kann nicht eingeengt werden. Gottes Geist ist war immer aktiv, sowohl innerhalb als auch außerhalb
der Religionen in der Welt.
Bevor Christus diese Befreiung vollbrachte hatte jemand gefragt, wie kann ich erkennen, dass ich Gott liebe? Die Antwort wäre
gewesen: "halte die Gebote Gottes!"
Nachdem Jesus die zwei Lieben verband, d.h. die Liebe Gottes und die Liebe des Nächsten, ist der Test für die Überprüfung der
Echtheit unsere Liebe zu Gott, unsere Liebe zum Nächsten. Die frühe christliche Gemeinschaft erkannte dies gut: „Wenn jemand
spricht: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder oder Schwester, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder oder Schwester nicht
liebt, den er sieht, der kann nicht Gott lieben, den er nicht sieht. Und dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der
auch seinen Bruder und Schwester liebe." (1 Joh. 4, 20-21).
Aufgrund menschlicher Neigung es ist möglich, Anspruch auf Liebe zu Gott zu erheben und zur gleichen Zeit alle Arten der
Grausamkeiten gegen seinen Nächsten zu begehen. Man kann sehr religiös sein, aber immer noch ein Rassist. Das Gegenmittel
für das alles soll diese wahre Liebe Gottes ermöglichen, fordert die Liebe zum Nächsten.
Freunde, dies ist die Revolution, die Jesus Christus verwirklichte. Wir müssen diese wieder erlangen. Es ist das beste
Gegenmittel gegen den Rassismus und das beste Heilmittel für viele Leiden unserer Welt heute.
Der Apostel Paul schrieb: "Zur Freiheit hat uns Christus befreit. So steht fest und lasst euch nicht wiederum in das knechtische
Joch fangen." (Galater 5:1).
Wir haben eine wichtige Rolle zu spielen. Jesus Christus Befreier - damals und jetzt, hinterlässt uns eine große Herausforderung:
Du bist das Licht der Welt; du bist das Salz der Erde. Lass dein Licht scheinen und lass deine Gegenwart wie Salz sein,
die heute den Unterschied in der Welt ausmacht.
Amen.
Übersetzung aus den Englischen: Ernst-Ludwig Vatter
Predigt